Wernershöhe
Anfang der 1980er Jahre wurde der Kiesabbau beendet; anschließend sollte die Grube mit Bauschutt verfüllt werden. Erfreulicherweise wurde das verhindert: Das Gebiet konnte Mitte der 1980er Jahre - gemeinsam mit der in der Nähe liegenden Grube „Brandsiek“ - mit Unterstützung der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft und des Landkreises Hildesheim erworben werden. Die Flächen wurden dem Ornithologischen Verein übertragen und später in das Eigentum der Paul-Feindt-Stiftung überführt. 1988 wurden beide Gruben in das neu ausgewiesene Naturschutzgebiet „Leineaue unter dem Rammelsberg“ einbezogen. Die Beobachtung der Vegetationsentwicklung auf den zunächst kahlen Sandflächen der Grube „Schwalbenberg“ war eine spannende Aufgabe, die die Botanische Arbeitsgruppe des OVH übernahm. Die Botaniker erstellten im Gebiet in Abständen von jeweils mehreren Jahren ausführliche floristische und vegetationskundliche Bestandsaufnahmen.
Im Jahre 1985 stellte die Gruppe in der damals noch weitgehend vegetationsarmen Sandgrube bereits 74 Farn- und Blütenpflanzen fest. Damals breiteten sich vor allem Pioniergesellschaften aus Einjährigen und Huflattich auf den Sandflächen aus. Ausdauernde Pflanzen und erste Gehölze waren nur in den seit längerem ungestörteren Randbereichen der Grube zu finden. In den Steilhängen brüteten Uferschwalben-Kolonien (Foto) mit mehreren hundert Tieren. In Tümpeln und nassen Senken wuchsen Laichkraut und Gift-Hahnenfuß, auch Froschlöffel, Breitblättriger Rohrkolben und Rohr-Glanzgras wurden gefunden.
Im April 1988 rückten Panzer der Bundeswehr ein, um Teile des Abbaugebietes zu planieren und die eingebrachten Bauschutt- und Bodenablagerungen zu überdecken (Foto). Zur Sicherung der steilen Grubenkanten wurden rings um das Gebiet Hecken gepflanzt. Danach wurde der „Schwalbenberg“ der natürlichen Sukzession überlassen.
Maren Burgdorf
Von Enzianen und Bläulingen
Kalk-Halbtrockenrasen sind die artenreichsten Lebensräume des Binnenlandes und wegen ihrer Seltenheit und Gefährdung als „gesetzlich geschützte Biotope“ ausgewiesen. Im Landkreis Hildesheim gibt es von diesem bedrohten Lebensraum noch rund 100 ha, die sich auf eine Reihe kleiner Gebiete verteilen. Dabei hat jedes Schutzgebiet seine eigene Besonderheit aufzuweisen; auf der Lieth ist dies das gemeinsame Vorkommen von Enzian, Ameisen und Schmetterlingen.
Zu diesem „Dreiecksverhältnis“ gehören der Kreuz-Enzian (Gentiana cruciata), Ameisen der Gattung Myrmica und der Kreuzenzian-Bläuling (Maculinea rebeli).
Der Kreuz-Enzian ist nicht zu verfehlen: Seine kreuzgegenständigen Blätter machen ihn unverwechselbar; er blüht Ende Juni, oft bis weit in den Juli hinein.
Schwieriger wird es mit den Insekten. Die Ameisen zu bestimmen, ist eine Sache von Fachleuten. Auf der Lieth wurden bisher fünf Ameisenarten nachgewiesen (Dittmer und Röschel briefl.).
Auch die Bläulinge zu unterscheiden, erfordert Erfahrung und Übung. Der Kreuzenzian-Bläuling (Maculinea rebeli) ist nur eine von 18 im Landkreis Hildesheim nachgewiesenen Bläulingsarten, dazu die seltenste und insofern am meisten gefährdete.
Viele Schmetterlingsarten sind zur Vermehrung auf ganz bestimmte Futterpflanzen für ihre Raupen angewiesen, d.h. in unserem Falle: ohne Kreuzenzian kein Kreuzenzian-Bläuling. Ein Vorteil dieser Spezialisierung mag die geringere Konkurrenz mit anderen Arten sein, ein Nachteil aber die vollständige Abhängigkeit von einer einzigen Art als Nahrungspflanze. Und der Kreuz-Enzian steht als „stark gefährdet“ auf der Roten Liste. So verwundert es nicht, dass von den wenigen Fundorten des Kreuzenzians im Landkreis Hildesheim lediglich einer, nämlich der auf der Lieth, noch vom Kreuzenzian-Bläuling besiedelt ist.
In welcher Beziehung stehen nun Enzian, Ameisen und Bläulinge zueinander?
Wenn die Bläulinge Anfang Juni aus der Puppe geschlüpft sind, finden sie in ihrem Revier den Kreuz-Enzian in Knospe vor. Nach der Paarung legt das Weibchen oben auf der Pflanze winzig kleine Eier ab. Die Raupen ernähren sich insbesondere von den Fruchtknoten des Enzians. Wenn sie nach mehreren Häutungen etwa 4 mm groß geworden sind, lassen sie sich auf den Boden fallen. Da sie den Duft von Ameisenlarven nachahmen, werden sie von Ameisen ins Nest getragen und dort gefüttert. Im folgenden Frühjahr verpuppen sie sich im Ameisennest, aus dem sie dann als fertige Schmetterlinge schlüpfen - für wenige Tage bis zu zwei Wochen Flugzeit. Die Beziehung Enzian - Bläuling - Ameise ist also keine Symbiose, das Zusammenleben verschiedener Arten zu gegenseitigem Nutzen, sondern Parasitismus: der Bläuling schädigt zunächst den Enzian und anschließend die Ameisen.
Ein Spaziergang über die Lieth
Wir starten in der Nähe des Fredener Friedhofs oder etwas weiter nördlich, wo wir am Rande des Neubaugebietes ausreichend Parkmöglichkeiten vorfinden. Der „Liethweg“ führt uns leicht ansteigend nach Westen. Am höchsten Punkt stößt der Weg auf ein dichtes Gebüsch, das als isolierte Einzelfläche bereits Teil des Naturschutzgebietes ist. Hier wenden wir uns nach Nordwesten, zwischen Äckern und Grünland hindurch; nach Westen bietet sich ein reizvoller Ausblick über die großen Sandgruben und das Ackerland hinweg auf den bewaldeten Steilhang des Selters. Erst im letzten Abschnitt begrenzt eine dichte Hecke das Blickfeld. Hier treffen wir auf eine vielfältige Flora. In den Säumen vor Hecken und Gebüschen fällt im Sommer der Hain-Wachtelweizen mit seinen goldgelben Blüten und den violetten Hochblättern auf, eine ungewöhnliche Farbkombination in unserer Flora. Viele weitere Arten tragen zum bunten Bild der Saumgesellschaft bei, z.B. Skabiosen- und Wiesen-Flockenblume, Tüpfel-Johanniskraut und Jakobs-Greiskraut. Der Gehölzriegel oberhalb des Weges besteht zu großen Teilen aus alten Hainbuchen, die mit ihren in Gruppen dicht zusammen stehenden bizarr gewachsenen Stämmen noch die alte Nutzungsform des Niederwaldes erahnen lassen. Eine Informationstafel am nördlichen Ende des Gehölzbestandes macht auf den Lebensraum Kalk-Halbtrockenrasen aufmerksam. Hinter dem Weidezaun erkennt man sofort den Kreuz-Enzian, der hier in beträchtlicher Anzahl wächst. Weitere seltene Arten, die in anderen Trockenrasen des Landkreises kaum vorkommen, sind hier vom Weg aus leicht zu beobachten, z.B. Wiesen-Salbei, Färber-Ginster und Echtes Tausendgüldenkraut. Dieses Grundstück im Eigentum der Paul-Feindt-Stiftung wird seit Mitte der 1990er Jahre extensiv mit Rindern beweidet. Der südöstliche Teil der Fläche war im Laufe von vielen Jahren vollständig verbuscht. Mit Hilfe von Naturschutzmitteln des Landes konnte im Jahre 2009 eine komplette Räumung durchgeführt werden. Lediglich zwei Gebüschriegel an der oberen bzw. unteren Flurstücksgrenze blieben erhalten. Im Jahr 2011 wurde der nachgewachsene Stockausschlag beseitigt. Das Ziel dieses Eingriffs ist die Wiederherstellung größerer zusammenhängender Trockenrasenflächen, um die Überlebensbedingungen der bedrohten Fauna und Flora zu verbessern. Ein wichtiger Faktor ist dabei die extensive Beweidung, die wesentlich zur Wiederherstellung und Entwicklung des trockenen Grünlandes beiträgt. Enzian und Ameisen bekommen also mehr Lebensraum; und davon könnte auch der Kreuzenzian-Bläuling profitieren.
Neben der Beweidung als Nutzung sind Jahr für Jahr ehrenamtliche Arbeitseinsätze zur Beseitigung der Stockausschläge notwendig. Die Alfelder Aktiven freuen sich über Verstärkung, weitere Helfer bei der Biotoppflege sind herzlich willkommen.
Der Grasweg mündet in einen schmalen, sehr steinigen Feldweg, auf dem wir nach knapp 200 m den Kammweg auf der Lieth erreichen. Der Rücken des Höhenzuges wird ackerbaulich genutzt. Der steile Osthang ist fast vollständig verbuscht oder bewaldet, so dass der Blick ins Leinetal hinunter weitgehend versperrt ist. Hinter dem heckenartigen Gehölzsaum liegen versteckt und dadurch zugleich geschützt Obstwiesen, Haselgebüsche und Niederwälder. Kleine Lücken im Gebüsch erlauben hier und da einen Blick in diese Biotope, die stellenweise noch sehr schön ausgebildet sind. Wegen fehlender Nutzung verlieren sie aber allmählich ihren naturschutzfachlichen Wert, insofern wäre eine Entbuschung sehr zu wünschen.
Die Säume des Kammweges sind ähnlich bunt und artenreich wie der zuvor beschriebene Wiesenweg.
Auf dem Rückweg lassen wir mit den letzten Bäumen und Sträuchern das NSG hinter uns; vor uns liegt das offene Leinetal mit Groß-Freden diesseits und Klein-Freden am Hang jenseits der Leine.
Bernd Galland