Hubschrauber mit 200 Millionen Jahren Geschichte
Gefleckte Heidelibelle ist die"Libelle des Jahres" - und dank der Naturschützer auch am Osterberg heimisch
Hildesheim. Ihr Bauplan ist perfekt: Schon im Jura, vor mehr als 200 Millionen Jahren, flogen Libellen, die mit ihren doppelten, unabhängig voreinander arbeitenden Flügelpaaren genau so aussahen wie die heutigen Libellen. Die Dinosaurier, die zu dieser Zeit eine erste Blüte erlebten, sind schon lange wieder von der Erde verschwunden. Doch nun sind auch die Libellen gefährdet, weil ihr Lebensraum immer weiter beschnitten wird und ganze Landstriche vom Menschen trockengelegt werden.
Um auf den schleichenden Verlust der Libellen aufmerksam zu machen, haben der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die Gesellschaft deutschsprachiger Odonatologen - das sind die Libellenkundler - die Gefleckte Heidelibelle zur "Libelle des Jahres 2015" gekürt.
In vielen Teilen Deutschlands, vor allem im Süden, gilt "Sympetrum flaveolum" als gefährdete, zum Teil sogar als vom Aussterben bedrohte Art. So wie die 47 anderen der 80 heimischen Libellenarten. In Hildesheim aber können sich Naturliebhaber noch immer an diesem Insekt erfreuen.
Im Naturschutzgebiet am Osterberg sei diese Heidelibelle noch relativ häufig zu finden, sagt Guido Madsack von der Unteren N'aturschutzbehörde der Stadt. Für den Titel "Libelle des Jahres" würden eben nicht nur hochgradig gefährdete Arten ausgewählt, mit der Wahl werde auch auf Tendenzen aufmerksam gemacht, die besorgniserregend seien. Die Gefleckte Heidelibelle besiedelt vor allem stehende Gewässer, in denen der Wasserstand schwankt. Ihr macht es nichts aus, wenn solche Tümpel und Teiche im Sommer austrocknen. Es hält ihr sogar die Konkurrenz vom Leib, denn ihre schnell wachsenden Larven können sich in kurzer Zeit gut entwickeln, ln Überschwemmungsgebieten von Flüssen und Bächen oder feuchten Wiesen und Weiden findet die Libelle des Jahres 2015 deshalb ideale Lebensbedingungen und profitiert dabei sogar vom Naturschutz für Wiesenvögel und Amphibien, die diesen Lebensraum mit ihr teilen. Um ihre Art zu erhalten, wirft sie die befruchteten Eier im Flug ab. Die Larven schlüpfen allerdings erst, wenn die Eier eine Weile im Wasser gelegen haben.
Am Osterberg kommen der Gefleckten Heidelibelle die vielen "Artenschutzgewässer" zugute: Da sind zum einen die Giesener Teiche, die, so Madsack, schon vor dem 18. Jahrhundert vom bischöflichen Gut Steuerwald angelegt worden seien. Damit sich hier keine Fische ansiedeln, die Eier und Larven von Insekten und Lurchen fressen, werden die Teiche einmal im Jahr abgelasscn. Libellen profitieren aber auch von den vielen, erst in den letzten Jahren angelegten Wasserlöchern, die nach dem Abzug der Bundeswehr mit Baumaschinen als "temporäre Tümpel" gegraben worden sind. Hier leben auch die Urzeitkrebse "Triops cancriformis", die mit einem Alter von 220 Millionen Jahren zu den lebenden Fossilien gehören und ebenfalls vom Aussterben bedroht sind.
Für den extremen Artenschwund der vergangenen Jahrzehnte ist der Mensch verantwortlich. Früher schlängelten sich frei fliehende Flusse durch weiträumige Feuchtgebiete, heute werden Wiesen und Ackerflächen über Drainagen trocken gelegt, Senken zugeschüttet, um Nutzfläche zu gewinnen. Damit verliert die Landschaft nicht nur die Fähigkeit, Wasser nach der Schneeschmelze oder ergiebigen Regenfällen zu speichern, damit steigt zugleich die Gefahr von Überschwemmungen.
Ob die Gefleckte Heidelibelle womöglich auch in Niedersachsen schon bedroht ist, vermag derzeit kaum jemand sicher zu sagen: Die Rote Liste ist Jahre alt, wird gerade überarbeitet. Eine exakte Artbestimmung ist bei Libellen nicht immer einfach. Die "Libelle des Jahres 2015" aber können selbst Laien leicht erkennen. Auffällig an ihr sind die gelb-bräunlichen (Weibchen) oder orange-roten (Männchen) Basalflecken auf den Hinterflügeln. Mit einer Flügelspannweite von fünf bis sechs Zentimetern und einer Körperlänge von vier Zentimetern ist sie mittelgroß. Die Farbe des Hinterleibs aber soll sich je nach Temperatur ändern: Ist es kühl, ist es bei Männchen bräunlich, ist es warm, soll es leuchtend rot werden.
Libellen sind geschickte Flieger: Von Mitte Mai bis Anfang Oktober gehen sie über Wiesen und Getreidefelder auf die Jagd: Im Flug können sie abrupt die Richtung wechseln oder sogar wie ein Hubschrauber in der Luft stehen bleiben. Sie erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 50 km/h. Ihre Beutetiere fangen sie im Flug. Dabei attackieren sie beinahe alles, was sie überwältigen können. Sie selbst stehen auf dem Speiseplan von Fröschen, Fledermäusen und Vögeln, von Wespen und Webspinnen. Entgegen einem verbreiteten Irrglauben aber sind Libellen weder giftig noch können sie stechen: Für Menschen sind sie völlig harmlos.
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